Frankreich/Cherbourg

Mit gestärktem Selbstvertrauen, Funkzeugnis und aufgefüllten Bilgen sind wir am Dienstag in Middelburg mit Kurs auf Frankreich aufgebrochen. Plan war es dabei so viele Meilen wie möglich zu machen und dadurch einen guten Zeitpuffer für windarme Tage aufbauen zu können. Und unser Unterfangen war ein voller Erfolg! 


Der Ärmelkanal verlangte uns zunächst großen Respekt ab, da er als eine der dichtest befahrenen Schifffahrtsrouten der Welt gilt und die Durchquerung auf einem kleinen Segelboot daher navigatorisch wie seglerisch höchst anspruchsvoll ist. Ein erster richtiger Test für Boot und Besatzung also! Umso besser war es, dass wir uns in Amsterdam mit Janschek, einem weiteren Topsegler verstärken konnten. Einmal aufgebrochen hatten wir riesiges Glück und andere Schiffe oder Fähren waren die ersten beiden Tage und Nächte genauso selten zu erspähen wie Wolken.


Wir richteten uns mit Campingstühlen und Sitzpolstern eine Vorschiff-Lounge ein, die als Sonnenterasse und Ausguck für die perfekte Abrundung des Mammuttörns sorgte. Die Nächte waren vom traumhaften Sternenhimmel hell beleuchtet und verliefen ruhig. Eine willkommene Abwechslung zu den Turbulenzen vor Rotterdam. Am dritten Tag verließ uns leider das Wetterglück und der Wind schlief ein als wir gerade Kurs auf Cherbourg in der französischen Normandie gesetzt hatten. Da ein anderer Hafen nicht wirklich näher lag und die Tide uns unerbitterlich zurückdrängte, blieb uns keine Wahl als für mehrere Stunden den Motor anzuwerfen. Ein Stich in unsere Seglerherzen, der aber bald vergessen war als 30 Meilen vor Cherbourg wieder steifer Nordwind aufkam und wir die letzten Meter der 250 Meilen Tour unter Segeln bewältigen konnten. 


In Cherbourg angekommen machten wir uns an die Erkundung der Stadt. Diese war zum Ende des zweiten Weltkrieges eine der strategisch bedeutendsten Städte an den Küsten Frankreichs und wurde nach der Landung der Alliierten in der Normandie zeitweise zum größten Hafen der Welt. Wir erklammen die alte Festung über den Dächern der Stadt und besichtigten das dort gelegene Museum sowie die intakten Bunkeranlagen. Ein wahres Gänsehauterlebnis, das unseren Blick dafür schärfte wie unermesslich wichtig und wie wenig selbstverständlich ein vereintes, friedliches Europa ist, das uns derartige Reisen überhaupt erst ermöglicht! 


Nach dem kulturellen Teil ging es wieder zur Tagesordnung über und die Kneipenstraßen von Cherbourg wurden unsicher gemacht. Dabei wurde aufgrund des ausgiebigen Bierkonsums schnell die Bezeichnung „The Germans“ geprägt. Am Samstag verließen uns die letzten verbliebenen Mitsegler, sodass wir nun erstmals nur mit der Stammcrew an Bord waren. Wir nutzten die Zeit um ein neues Funkgerät einzubauen und auch die von Korrosion gezeichneten Außenborder neu zu lackieren. Nach einer weiteren Nacht in den unzähligen Kneipen von Cherbourg in der wir seit langer Zeit mal wieder in einer richtigen Wohnung geschlafen haben wurde uns schnell klar, das wir unsere schöne Running Deer jederzeit einer Couch in Cherbourg vorziehen und wir dringend weiterfahren müssen. Gestärkt mit einem Katerfrühstück aus Creps und Kaffee wurden die Tanks wieder aufgefüllt und die Segel mit Kurs auf die nächste Ankerbucht gesetzt. Beim tanken kamen wir mit einem französischen Marineoffizier ins Gespräch, der sehr verblüfft davon war, dass wir mit unserem Boot aus Deutschland bis nach Cherbourg gesegelt sind. Und dabei ist dies erst der Anfang unserer Reise! 


Nach einem schönen Tagestrip mit etwa 5 Windstärken haben wir den bisher schönsten Ort unserer Reise erreicht. Eine kleine Ankerbucht bei Port Racme die Frankreich von seiner wunderbarsten Seite zeigt. Traumhafte Berghänge an der Küste und jede Menge kleine uralte Ortschaften, die einen unvergleichlichen Charme entfalten. Dabei kam es auch zu einer Premiere! Zum ersten Mal auf unserer Tour konnte sich André zur Erkundung der Umgebung zum Joggen motivieren. Aber bei der wunderbaren Landschaft wurde eine sehr stabile Pace an den Tag gelegt. Nicht nur die Running Deer konnte sich an diesem Tag den Zusatz „Sport“ verdienen! 


Abgerundet wurde dieser vollkommene Tag mit einer Bolognese ala André im Cockpit der Running Deer bei einer Aussicht für die manche viel Geld bezahlen würden, die uns aber keinen Cent kostet! Das Leben auf dem Boot packt uns immer mehr und lässt uns keine einzige Sekunde an unseren Entscheidungen zweifeln! 


Leider blieb dieser nahezu perfekte Tag nicht ganz ohne Opfer. So verlor André bei dem frischen Westwind seine Mütze, die ihm sein Opa für die Tour geschenkt hatte. Zum Glück wurde kurz zuvor noch ein Bild mit Mann und Mütze gemacht und solange nur das Inventar über Bord geht, sind die Verluste verkraftbar! 


Morgen soll es dann weiter in Richtung Jersey gehen, sofern die Einreise dort ohne Restriktionen möglich ist. Wir können es kaum erwarten!


André und Niclas


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