Transatlantic

Am späten Abend des 04.12. schmissen wir die Leinen in Las Galletas los und begannen unser bislang größtes Segelabenteuer mit Kurs auf Martinique. Die erste Euphorie und Vorfreude auf die bevorstehenden 3.000 Seemeilen und drei Wochen Abgeschiedenheit wurden jedoch schnell getrübt: bereits kurz nach dem Start – Niclas lag in Vorbereitung auf die erste Nachtwache bereits in der Koje – brach das massive Stahlrohr von unserem Kapitänssessel aus Altersschwäche weg und René legte eine harte Bruchlandung im Cockpit hin. Resultat war eine geprellte Rippe und dementsprechend schmerzte beinahe jede Bewegung im rollenden Schiff. Doch das Greenhorn an Bord der Running Deer erwies sich als echter Seemann und biss die nächsten Tage die Zähne zusammen. Ein schlechtes Omen für eine derartig lange Segeletappe, das uns aber nicht entmutigen sollte und so zeigten wir uns zuversichtlich, dass dies unser letztes Malheur gewesen seien sollte.

 

In der ersten Woche war die See noch etwas unruhig, da über den Kanaren einige Tiefdruckgebiete ihr Unwesen trieben und deren Ausläufer uns erst kurz vor den Kap Verden nach 7 Tagen auf See in Ruhe ließen. So wurden wir nachts immer wieder von Squalls (kleine Unwetterfronten mit deutlicher Windzunahme und meist Starkregen) überrollt und mussten tatsächlich auch unser Ölzeug noch einmal aus dem Schrank kramen. Die Anstrengungen schienen allerdings auf einen Schlag vergessen, als wir unseren ersten Mahi-Mahi (Goldmakrele) aus dem Wasser zogen! Nichts stärkt die Moral an Bord mehr als ein frisch gefangener Fisch! Seit dem weißen Hai, den wir in der rauen Biskaya am Haken hatten, waren wir nicht mehr mit der Angel erfolgreich gewesen und so freuten wir uns umso mehr über den ersten Mahi-Mahi, der uns zu diesem Zeitpunkt auch noch sehr stattlich erschien. Ab jetzt lief es und wir holten beinahe jeden Tag einen größeren Leckerbissen aus dem Atlantik. Auch unsere anfängliche Unsicherheit  beim Ausnehmen und Zubereiten von frischem Fisch wich schnell der Experimentierfreude und mündete in kulinarischen Meisterwerken.

 

Nach einer Woche auf dem Wasser durchstreifte unser kleines Raumschiff gerade die sternenklare Nacht etwa 250 Meilen vor den Kap Verden als etwas Magisches passierte: Der Wind drehte schlagartig von Nord-Ost auf Ost und eine milde Wärme umhüllte uns in der Dunkelheit. Das musste der Passat-Wind sein! Wir waren jetzt auf dem Highway direkt in die Karibik. Ab diesem Moment wurden auch die Wellen länger und das Wetter – trotz weiterer Squalls – konstanter. Entsprechend unseres Kurses hatten wir immer Wind von hinten und sind die gesamte Tour über den Atlantik ausschließlich mit der kleinen Genua und/oder dem Code 0 in Schmetterlingsbeseglung gesegelt. Angenehmer kann man wohl kaum reisen. Tagsüber verbrannten wir in der glühenden Atlantiksonne, nahmen den frischen Fisch aus, guckten ohne Ende Serien und in selten motivierten Momenten übernahmen wir sogar das Steuer vom Autopiloten, der trotz einiger Aussetzer einen hervorragenden Job machte. Nachts hatten wir ein Schichtsystem bei dem jeder von uns 3 Stunden Nachtwache hielt, die je nach den Squalls mal völlig ruhig verlief und mal im Starkregen bei bis zu 40 Knoten Wind durchgestanden werden musste.

 

Obwohl wir fast nichts taten kam keine Langeweile auf und die Zeit verging wie im Flug. Wir hätten nicht damit gerechnet aber das Internet und Social Media, womit wir bisher sehr viel – wahrscheinlich muss man sogar sagen zu viel – Zeit verbracht hatten, fehlte uns kein Stück! Im Gegenteil genossen wir die Tatsache, dass wir überhaupt keinen Zeitdruck, Stress oder irgendwelche Verpflichtungen – abgesehen von der Nachtwache natürlich, die aber regelmäßig von einzigartigen Sternenhimmeln versüßt wurde – hatten sehr und freuten uns riesig alle zwei bis drei Tage über unser Satellitentelefon bei Anforderung der aktuellen Wetterdaten eine E-Mail aus dem Nichts in die Heimat zu senden. So wunderten wir uns auch nicht als es auf einmal schon wieder Freitag und damit die zweite Woche auf See zu Ende war. Wir waren nun mitten auf dem Atlantik, über 2.000 Kilometer entfernt von jeglicher Zivilisation! Standesgemäß setzten wir auf halben Weg natürlich noch eine Flaschenpost ab und sind sehr gespannt, ob uns jemals eine Antwort erreichen wird! Ein ganz besonderes Erlebnis in dieser Woche war ein ca. 15 Meter großer Pottwal der nur wenige Meter vor unserem Boot aus dem hellen Blau empor stieg und zum Gruß seine Schwanzflosse beim Abtauchen in die Höhe streckte. Ein solch gewaltiges Tier hatte zuvor kaum einer von uns je in freier Wildbahn gesehen! Außerdem besuchten uns einige fliegende Fische, denen die Vorschiff-Lounge allerdings schlechter zu bekommen schien als uns. Wir begannen auch die Squalls für uns zu nutzen und so wurde öfters nackt im Regen geduscht, was bei den heißen Temperaturen die beste Erfrischung war. 

 

In der dritten Woche wurde uns langsam klar, dass wir unser eigentliches Ziel, Heilig Abend in der Karibik zu sein, nicht würden halten können und wir begannen, neue Pläne für das jährliche Weihnachtsfest zu machen: Das einzig wirklich angemessene Festmahl, das wir mit den restlichen Vorräten noch zubereiten konnten, war natürlich Mahi-Mahi. Allerdings hatten wir unseren guten Köder an einen zwei Meter Blue-Marlin (Schwertfisch) verloren und die goldgrünen Meeresbewohner schienen unseren neuen Köder nicht ganz so sehr zu mögen! Doch auch dieses Mal verließ unser Glück uns nicht und wir holten am Mittag des 24.12. ein riesiges Exemplar aus dem Wasser, das uns alle mehr als gut sättigte. Wir setzten natürlich auch unsere Weihnachtsmützen auf und schmückten die Plicht mit Lichterketten. So fuhren wir am Abend mit 7,5 Knoten Geschwindigkeit und 30 Knoten Wind mit Lichterketten und frischem Mahi-Mahi in die Nacht und feierten ein unvergessliches Weihnachtsfest! Da wir auch noch Restguthaben auf unserem Satellitentelefon hatten, das bald verfallen würde, konnten wir sogar einen Weihnachtsanruf bei unseren Familien machen!

 

Es war klar, dass wir die letzten 200 Meilen unmöglich an einem Tag zurücklegen konnten, wir refften daher am ersten Weihnachtstag die kleine Genua fast runter bis zur Sturmfock, um am 26.12. bei Tageslicht in Martinique einlaufen zu können. Die letzten 24 Stunden, die wir so vor uns hineierten, kamen uns beinahe länger vor, als die drei Wochen davor und unsere Augen strahlten, als wir endlich die ersten Lichter der Karibik in der Ferne erspähen konnten! An richtigen Schlaf war in dieser Nacht kaum zu denken.

 

Wie geplant kamen wir am frühen Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen in der Bucht vor Le Marin im Südwesten von Martinique an. Wir hatten es geschafft! In 21 Tagen haben wir ca. 3.000 Meilen Blauwasser hinter uns gelassen und waren nun an unserem Traumziel angekommen! Und wir staunten nicht schlecht als wir die gewaltige Ankerbucht bei Le Marin passierten: Über 2.000 Boote, die teilweise schon seit Jahren und Jahrzehnten hier liegen müssen, füllen die paradiesische Bucht. Wir merkten auch schnell, worauf es beim Segeln ab jetzt ankommen würde, als wir einen Moment unvorsichtig waren und das Lot plötzlich nur noch 1,0 Meter Wasser unterm Kiel anzeigte. Die Bucht ist auch wegen der vielen Korallenriffe als einer der bestgeschützten Plätze in der Karibik bekannt, was einem beim Navigieren – selbst mit dem Dinghi – vor völlig neue Herausforderungen stellt. Wir suchten uns einen schönen Platz weit hinten in der Ankerbucht nahe der Marina und konnten kaum glauben, dass wir es endlich geschafft hatten! Nach dem Anlegerbier holten wir noch etwas Schlaf nach und meldeten uns dann bei der Küstenwache wegen der Corona-Beschränkungen. Diese hatte eines der schönsten Weihnachtsgeschenke für uns und teilte uns mit, dass wir nach der dreiwöchigen Überfahrt keinerlei Quarantäne einhalten oder Tests machen  müssten! Das ist zwar durchaus sinnvoll, da wir ja faktisch in Quarantäne waren, in diesen wirren Zeiten allerdings keineswegs üblich. Wir konnten also noch am gleichen Tag an Land gehen und die neue Welt für uns erobern! Diesen reibungslosen Ablauf verdanken wir vor allem auch unserem wachsamen Schutzengel Carsten Hinken „Charlie“ von der DGzRS, der uns bereits zwei Wochen zuvor bei der Küstenwache auf Martinique angemeldet hatte und spätestens an dieser Stelle besonderer Erwähnung verdient! Die gesamte Besatzung der Running Deer dankt Dir vielmals für deine Hilfe und jederzeitige Unterstützung Charlie, dank Dir wussten wir auch in der Mitte des Atlantiks, dass im Notfall jemand da sein würde!

 

Die nächsten Wochen werden wir die französischen Karibikinseln Martinique und Guadeloupe erkunden und es vor allem mal etwas langsamer angehen lassen. Dies ist definitiv eine der vielen Eigenschaften, die uns der Atlantik gelehrt hat! In der Ruhe liegt die Kraft und wir werden uns von nun an etwas mehr Zeit an den unzähligen schönen Orten nehmen! Oder mit Poohs (neustes Crewmitglied und Bordstofftier, das in Las Galletas noch gerade rechtzeitig für die Transatlantic zugesprungen ist; außerdem seines Zeichens ausgewiesener Fachbär für Honig) Worten: Wir haben das Nichtstun gelernt und was könnte es Schöneres geben? Aber natürlich gilt auch weiterhin, dass von Nichts nichts kommt und so müssen wir noch einige kleinere Reparaturen auf Martinique erledigen, die aber zum Glück nicht zur Eile zwingen. Unser Code 0 ist nach drei Wochen UV-Bestrahlung am letzten Tag auf dem Atlantik am Achterliek eingerissen und muss genäht werden, eine Seite von unserem Schlauchboot muss geflickt werden, die Ankerwinch muss noch wieder fit gemacht werden (damit wir unfit bleiben können) und auch die Centerwinsch klemmt wieder und muss auseinander gebaut werden. Alles in allem aber nichts, was sich nicht schnell in den Griff kriegen lassen sollte und so bleibt zum Glück jede Menge Zeit, um die Karibik zu erkunden. Wer hätte gedacht, dass auf unserer längsten Überfahrt am wenigsten kaputt gehen würde?!

 

Wir sind noch immer überwältigt von dem vielen Zuspruch, den wir gerade vor unserer Abfahrt aus Deutschland erhalten haben und hoffen euch geht es auch trotz zunehmender Corona-Beschränkungen allen gut. Als kleiner Lichtblick am Ende des Tunnels: Wenn das Ganze hoffentlich im Laufe dieses Jahres durchgestanden ist und wir nach der unbequemen Rückfahrt wieder einen Fuß auf deutschen Boden setzten, gibt es eine Party nach Karibik Art, die sich gewaschen hat!!

 

Bis dahin Ahoi von der Running Deer und ihren Blauwasserseglern

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Anke Maurer-Schemmann (Samstag, 09 Januar 2021 08:40)

    Klingt super schön, toll geschrieben und echt cool das ihr das macht - das wird unvergesslich bleiben ! ���

  • #2

    Viktor SIEPRAWSKI (Sonntag, 24 Januar 2021 19:58)

    Moin Andre, Gruss von der Crew der JENS ALBRECHT und weiterhin viel Spaß und aufregende Abenteuer auf Eurem fantastischen Toern!